Nachdem der BFH erneut entschieden hat, dass Normen von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), die Art. 9 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) entsprechen, für § 1 Außensteuergesetz (AStG) eine Sperrwirkung entfalten können, reagiert das BMF mit einem teilweisen Nichtanwendungserlass. Betroffen sind ertragsteuerliche Fragen zur „Fremdüblichkeit“ internationaler Geschäftsbedingungen in einem Konzern.
Hintergrund der Entscheidungen des BFH
Nach Ansicht des BFH entfaltet der abkommensrechtliche Grundsatz des „dealing at arm’s length“ bei verbundenen Unternehmen eine Sperrwirkung gegenüber den sog. Sonderbedingungen. Für den maßgeblichen Vergleichsmaßstab des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA könnten nur diejenigen Umstände des Sachverhalts berücksichtigt werden, die sich auf wirtschaftliche oder finanzielle Bedingungen auswirken und damit die Angemessenheit /Höhe des Vereinbarten betreffen. Denn eine Gewinnkorrektur, die sich auch auf den Grund (Üblichkeit der Konditionen, Ernsthaftigkeit) bezieht, ist für den BFH nach den Vergleichsmaßstäben des „dealing at arm’s length“ für eine Angemessenheitsprüfung nicht vorgesehen.
Bei der Überprüfung des schuldrechtlichen Leistungsaustauschs zwischen den verbundenen Unternehmen bezieht der BFH aber neben dem Preis sämtliche weiteren Geschäftsbedingungen ein – allerdings nur insoweit, wie diese Konditionen den Preis im Fremdvergleich beeinflussen können. Auf Grundlage dieser Rechtsprechung hat der BFH dann die Rückgängigmachung einer Teilwertabschreibung für ein unbesichertes Darlehen einer inländischen Muttergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft nach § 1 Abs. 1 AStG für nicht rechtmäßig gehalten, weil das Gericht diese Vorschrift für nachrangig gegenüber den Regelungen des DBA eingestuft hat.
Ansicht des BMF
Nach Auffassung des BMF lassen weder der Wortlaut des Gesetzes, der Wille der vertragschließenden Parteien der DBA noch der Sinn und Zweck der Regelung eine solche Auslegung zu. Die vom BFH vorgenommene Beschränkung der Korrektur auf Preise bzw. Verrechnungspreise widerspreche zudem dem OECD-Kommentar zum OECD-MA. Denn dort wird ausdrücklich auf die Fremdüblichkeit der Bedingungen (arm’s length terms) abgestellt und ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Gewinnberichtigung (adjustments to profits) zum Gegenstand habe und gerade nicht eine Preisberichtigung.
Eine historische Auslegung führt für das BMF zum gleichen Ergebnis: Der historische Gesetzgeber habe mit § 1 AStG eine Regelung für die Gewinnberichtigung von international verbundenen Unternehmen geschaffen, um das deutsche Steuerrecht an die Konzeptionen anderer moderner Steuerrechtsordnungen und an den Standard des internationalen Steuerrechts, nämlich das OECD-MA, anzugleichen und international anerkannte Besteuerungsrechte auch national wahrnehmen zu können. Dazu habe er den Fremdvergleichsgrundsatz, der in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA enthalten ist, national in § 1 AStG umgesetzt und konkretisiert.
Einen Widerspruch zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD -MA und § 1 AStG habe der historische Gesetzgeber offensichtlich nicht gesehen und nicht schaffen wollen. Diesen Willen setzte der BFH gerade nicht um, indem er einen Widerspruch zwischen § 1 AStG und den DBA konstruiert, aus dem er eine Sperrwirkung der DBA gegenüber § 1 AStG herleitet. Eine Beschränkung der Korrektur auf den jeweiligen Verrechnungspreis ist für das BMF im Hinblick auf den Fremdvergleichsgrundsatz sinnwidrig: Die Bedingungen eines konkreten Geschäftsvorfalls könnten so gestaltet sein, dass allein die Korrektur des Verrechnungspreises weder dazu geeignet sei noch ausreiche, ein Ergebnis zu erzielen, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspreche.
Darüber hinaus sieht das BMF eine Kompetenzüberschreitung des BFH: Nach seinem eindeutigen Wortlaut beinhaltet § 1 AStG eine Korrekturmöglichkeit gegenüber allen „anderen Vorschriften“, also auch gegenüber den Zustimmungsgesetzen zu den mit anderen Staaten abgeschlossenen DBA. Soweit der BFH von einem Konflikt zwischen § 1 AStG und den DBA ausgeht, hätte er eine Vorlage an das BVerfG machen müssen, um dadurch eine mögliche Sperrwirkung von DBA-Normen gegenüber § 1 AStG klären zu lassen.
Folgen der Nichtanwendung der beiden Entscheidungen
Die Ergebnisse der Urteile des BFH sollen nicht über den konkreten Fall hinaus Anwendung finden, sondern die im BMF-Schreiben vom 29.03.2011 dargelegte Verwaltungsauffassung. Wenn eine Darlehensbeziehung zwischen inländischen und ausländischen Gesellschaften in einem Konzern grundsätzlich steuerlich anzuerkennen ist und eine Teilwertabschreibung auf die Darlehensforderung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG durchzuführen wäre, soll entsprechend der bisherigen Verwaltungsauffassung geprüft werden, ob die Anwendung des § 1 AStG dazu führt, dass die Teilwertabschreibung steuerlich nicht anzuerkennen ist.
Praxishinweis
Das BMF geht mit diesem Nichtanwendungserlass in offene Konfrontation zum BFH. Untypisch ist allerdings die sehr ausführliche Begründung, warum die Entscheidungen des BFH unzutreffend sein sollen. Die fraglichen Entscheidungen sollen – trotz der anderen Auffassung des BMF – im BStBl veröffentlicht werden. Die Nichtanwendung bezieht sich dabei lediglich auf die Ansicht des BFH, dass eine Sperrwirkung von DBA-Normen, die inhaltlich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechen, gegenüber § 1 AStG bestehe. Da der BFH den Weg zum BVerfG nicht eröffnet hat, bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtslage künftig entwickeln wird.
Sofern die Finanzverwaltung also künftig Teilwertabschreibungen auf Darlehen an ausländische Töchter oder vergleichbare Fallkonstellationen, die nach den Regelungen des EStG steuerlich wirksam wären, unter Hinweis auf § 1 AStG nicht anerkennen will, ist den betroffenen Unternehmen zu raten, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Zurzeit können sie sich auf die für sie günstige Ansicht des BFH berufen. Wem die Finanzgerichte folgen bzw. ob eines der Finanzgerichte das BVerfG anruft oder erneut den Weg zum BFH eröffnet, ist hierbei jedoch nicht abzusehen.
BMF, Schreiben v. 30.03.2016 - IV B 5 – S-1341/11/10004-07
BMF, Schreiben v. 29.03.2011 - IV B 5 – S-1341/09/10004
Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz