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Kapitaleinkünfte: Nachträgliche Antragsveranlagung und Schätzungsbescheid

Bis wann können Kapitalerträge in die Einkommensteuerveranlagung einbezogen werden? Nach dem BFH kann die „Antragsveranlagung“ als unbefristetes Wahlrecht auch nach Abgabe der Steuererklärung beantragt werden, wenn die Steuerfestsetzung noch änderbar ist. Zudem gilt: Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen kann nur ausnahmsweise bei Willkürmaßnahmen zu einem nichtigen Schätzungsbescheid führen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 21.08.2019 entschieden, dass die sogenannte Antragsveranlagung zur Einbeziehung der Kapitalerträge in die Einkommensteuerveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG ein unbefristetes Veranlagungswahlrecht darstellt. Der Antrag kann allerdings auch zeitlich nach der Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt werden, sofern die Steuerfestsetzung verfahrensrechtlich noch änderbar ist.

In diesem Rahmen hat der BFH auch entschieden, dass bei der Beurteilung, ob die nachträglich bekanntgewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren oder einer niedrigeren Steuer führt, neben der festgesetzten Einkommensteuer auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer zu berücksichtigen ist.

Eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen kann nur ausnahmsweise, nämlich bei Vorliegen von Willkürmaßnahmen, zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids führen.

Sachlage im Streitfall

Die steuerpflichtigen Eheleute wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Ehefrau war gewerblich als Hundeausbilderin tätig und erklärte hieraus in den Vorjahren geringe Einkünfte. Umsatzsteuererklärungen gab sie dabei zu keiner Zeit ab.

Der Ehemann war Arbeitnehmer und erzielte zusätzlich Einnahmen aus einer (typisch) stillen Beteiligung. Mangels Abgabe weiterer Einkommensteuererklärungen wurden drei Folgejahre durch das Finanzamt (FA) geschätzt und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Ehefrau jeweils um jährlich 2.000 € erhöht. Die Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit wurden entsprechend den elektronisch übermittelten Daten festgesetzt, wobei die Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht berücksichtigt wurden.

Nach Eintritt der Bestandskraft reichten die Steuerpflichtigen eine Steuererklärung sowie eine Aufstellung über bisher nicht berücksichtigte Einkünfte aus Kapitalvermögen ein. In der Einnahmenüberschussrechnung der Ehefrau wurde ein Gewinn erzielt.

Im Rahmen der nacherklärten Kapitalerträge wurde der Antrag auf Günstigerprüfung für sämtliche Kapitalerträge gestellt und auch der bislang nicht in Anspruch genommene Pauschbetrag geltend gemacht. Dabei beantragten die Eheleute die Anrechnung von Kapitalertragsteuer sowie Solidaritätszuschlag.

Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit machten sie Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten geltend. Die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr lehnte das FA ab. Ein Antrag auf Günstigerprüfung sei aufgrund der Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung nicht mehr möglich.

Auch die Geltendmachung der Nichtigkeit der Schätzung im Einspruchsverfahren war erfolglos. Das Finanzgericht Niedersachsen wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Der BFH bestätigte diese Sichtweise.

Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids

Grundsätzlich kann ein Bescheid nur dann nichtig sein, wenn dieser unter einem besonders schwerwiegenden, bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundigen Fehler leidet. Da vorliegend keine Einkommensteuererklärung abgegeben wurde, konnte das FA die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO schätzen, wobei keine Anhaltspunkte für eine Strafschätzung erkennbar sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.

Ausnahmsweise kann eine fehlerhafte Schätzung die Nichtigkeit des auf ihr beruhenden Verwaltungsakts zur Folge haben, wenn sich das FA nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Dabei haben selbst grobe Abweichungen innerhalb des Schätzungsrahmens regelmäßig nur die Rechtswidrigkeit, nicht aber die Nichtigkeit des Schätzungsbescheids zur Folge.

Keine Änderung bei grobem Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Einkünfte
Auch im Fall geschätzter Besteuerungsgrundlagen kann die nachgereichte Erklärung nachträglich bekanntwerdende Tatsachen enthalten, die entweder zu einer höheren Steuer gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO oder zu einer niedrigeren Steuer gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führen.

Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen sind beispielsweise Schlussfolgerungen oder juristische Subsumtionen. Zu den Schlussfolgerungen gehört auch die Schätzung aufgrund von tatsächlichen Schätzungsgrundlagen, so dass nur Veränderungen hinsichtlich der Schätzungsgrundlagen im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO relevant sein können.

Solche Tatsachen können jedoch nur bis zum Eintritt der Bestandskraft des entsprechenden Steuerbescheids vorgebracht werden. Handelt es sich um ein nicht fristgebundenes Antrags- oder Wahlrecht, kann es – wie im Fall der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG – bis zum Eintritt der formellen und materiellen Bestandskraft ausgeübt und ggf. widerrufen werden.

Ist ein Antrags- bzw. Wahlrecht jedoch fristgebunden, ist die Ausübung nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft möglich. Die Steuerfestsetzung muss dann grundsätzlich noch mit einem ordentlichen außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelf angefochten werden können. Zwar stellt die Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG grundsätzlich auch ein unbefristetes Veranlagungswahlrecht dar. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffene Festsetzung noch änderbar ist.

Im Fall des § 32d Abs. 4 EStG ist für die Antragsveranlagung eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auch die Frage, ob die nachträglich bekanntgewordene Tatsache der Erzielung von Kapitaleinkünften nach § 173 Abs. 1 AO zu einer höheren (Nr. 1) oder niedrigeren Steuer (Nr. 2) führt, zu berücksichtigen hat. Dabei ist auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen.

Praxishinweis

Der BFH hat mit diesem Urteil entschieden, dass die Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG ebenso wie die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG auch nach Abgabe der Steuererklärung beantragt werden kann. Anderes gilt für den Fall der Option nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG. Steuerpflichtige sollten jedoch beachten, dass nach Ablauf der Einspruchsfrist eine Änderungsnorm zur Änderung des Steuerbescheids benötigt wird. Eine solche kann beispielsweise § 173 AO beim Vorliegen neuer Tatsachen sein.

BFH, Urt. v. 21.08.2019 - X R 16/17

Quelle: Steuerberater und Dipl.-Volkswirt Volker Küpper