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Einkommensteuer -

Kindergeld: Anspruch bei unterschiedlichen Wohnsitzen 

Kann Kindergeld beansprucht werden, wenn auch ein ausländischer Wohnsitz besteht? Nach dem BFH gilt: Soweit ein Elternteil Haupt- und Familienwohnsitz in einem anderen EU-Staat aber einen weiteren Wohnsitz in Deutschland hat, kommt es für den Kindergeldanspruch nicht auf eine Erwerbstätigkeit im Inland an. Ob im Ausland Anspruch auf Familienleistungen besteht, kann ein Auskunftsersuchen klären.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 01.06.2022 (III R 45/20) seine Grundsätze für den Bezug von Kindergeld bei einem deutschen Zweitwohnsitz konkretisiert.

Sachverhalt und Entscheidung im Besprechungsfall

Der Kläger K, polnischer Staatsangehöriger, war seit einigen Jahren in Deutschland gewerblich tätig und hatte sowohl einen Wohnsitz in Deutschland als auch einen Wohnsitz in Polen. In Polen lebte er in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind. 

Die zuständige Familienkasse bewilligte zugunsten des K Kindergeld für das Kind. Bei einer späteren Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug deutschen Kindergelds forderte die Familienkasse Nachweise an. 

K legte dabei u.a. Bescheinigungen über seine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG vor. In der Folge ging die Familienkasse davon aus, dass der K in Deutschland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, und forderte das Kindergeld zurück. 

Die Klage des K hiergegen beim Finanzgericht war erfolgreich und auch der BFH folgte dem.

Voraussetzungen für den Kindergeldbezug

K hatte in Deutschland einen Wohnsitz. Der Umstand, dass er vom Finanzamt (FA) nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wurde, steht der Annahme eines inländischen Wohnsitzes nicht entgegen. 

Die Behandlung durch das FA ist nach § 1 Abs. 3 EStG für die Familienkasse zwar dann bindend, wenn es um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG geht - nicht aber, wenn das FA fälschlich davon ausgegangen ist, dass der Anspruchsberechtigte im Inland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. 

Da K somit im Hinblick auf seinen Wohnsitz in Deutschland die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, hat er auch in den Monaten Anspruch auf Kindergeld, in denen er eine gewerbliche Tätigkeit in Deutschland nicht nachweisen konnte. 

Das Kind war ein leibliches Kind des K und lebte im Streitzeitraum im gemeinsamen Haushalt des K und seiner Ehefrau in Polen, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union. K war damit als Berechtigter i.S.d. Kindergeldvorschriften bestimmt worden.

Der Anspruch des K auf Gewährung von Kindergeld ist nach Ansicht des BFH auch nicht nach Art. 68 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausgeschlossen. 

Denn die Koordinierungsregel dieser Vorschrift ist nur dann anwendbar und kann den Kindergeldanspruch in Deutschland auch nur dann ausschließen, wenn tatsächlich konkurrierende Ansprüche auf Familienleistungen bestehen. 

Die Frage, ob im EU-Ausland ein Anspruch auf Familienleistungen besteht, ist grundsätzlich durch ein Auskunftsersuchen beim ausländischen Träger zu klären. Wenn jedoch das Nichtbestehen eines ausländischen Anspruchs zweifelsfrei und unbestritten ist, kommt eine Ausnahme in Betracht. 

Vorliegend hatten zweifelsfrei weder K noch die Kindsmutter einen Anspruch auf polnische Familienleistungen, so dass keine Ansprüche auf Familienleistungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu koordinieren sind. Folglich ist K nach den deutschen Vorschriften kindergeldberechtigt.

Praxishinweis

Der BFH hat mit dieser Entscheidung seine Grundsätze für den Bezug von deutschem Kindergeld für EU-Ausländer konkretisiert: Hat ein Elternteil seinen Haupt- und Familienwohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat, aber einen weiteren Wohnsitz in Deutschland, kommt es für den deutschen Kindergeldanspruch nicht auf eine inländische Erwerbstätigkeit an. 

Die Koordinierungsregel der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist nur dann anwendbar und kann den Kindergeldanspruch somit nur dann ausschließen, wenn tatsächlich konkurrierende Ansprüche auf Familienleistungen in dem anderen Mitgliedstaat bestehen.

BFH, Urt. v. 01.06.2022 - III R 45/20

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