Wann gilt die Tantieme eines Geschäftsführers als zugeflossen? Welche Folgen hat dabei die verspätete Feststellung des Jahresabschlusses? Nach dem BFH führt die Verspätung auch im Fall eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers nicht per se zu einer Vorverlegung des Zuflusses auf den Zeitpunkt, zu dem die Fälligkeit bei fristgerechter Aufstellung des Jahresabschlusses eingetreten wäre.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung vom 28.04.2020 (VI R 44/17) die Grundsätze weiter konkretisiert, wann einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer die Tantieme zufließt.
Sachverhalt im Besprechungsfall
Der Kläger K war zu 51 % Gesellschafter sowie Geschäftsführer der A GmbH. Außerdem war K Alleingesellschafter und Geschäftsführer der B GmbH. Beide GmbHs gewährten ihren Geschäftsführern neben dem monatlichen Festgehalt Tantiemen. Diese waren jeweils einen Monat nach Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung fällig.
Zum 31.12.2008 wurden in der Bilanz der A GmbH und der B GmbH für jeden Geschäftsführer Tantiemen passiviert. Die Bilanzen der beiden GmbHs wurden im Dezember des Folgejahres festgestellt. Die Tantiemen wurden nicht ausgezahlt.
Im Streitjahr erlitten sowohl die A GmbH als auch die B GmbH Verluste, welche jeweils in das Jahr 2008 zurückgetragen wurden. Beide Gesellschafter wiesen die Tantiemen nicht in den Jahreslohnsteuerbescheinigungen des K aus und unterwarfen diese auch nicht der Lohnsteuer. Darüber entstand mit dem Finanzamt Streit. Die Klage blieb erfolglos, der BFH folgte dem nicht.
Zufluss von Tantiemen
Tantiemen gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn dieser dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Der Zufluss erfolgt mit Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht. Geldbeträge fließen regelmäßig dadurch zu, dass sie dem Empfänger bar ausbezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden.
Bei einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer kann hingegen der Zufluss von Einnahmen auch ohne Zahlung oder Gutschrift bereits früher vorliegen. Demnach fließt dem alleinigen oder jedenfalls beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu.
Denn ein beherrschender Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, welche die Kapitalgesellschaft den beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben.
Fällig wird der Anspruch auf Tantiemen erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbaren.
Zufluss der Tantiemen bei K
K war aufgrund seiner Beteiligungsquote bei den GmbHs jeweils beherrschender Gesellschafter. Die Feststellung der Jahresabschlüsse der A GmbH und der B GmbH zum 31.12.2008 erfolgte unter Passivierung der Tantiemen im Dezember 2009.
Die Geschäftsführer-Anstellungsverträge bestimmten die Fälligkeit der Tantiemen jeweils einen Monat nach Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung. Diese vom Grundfall abweichende Fälligkeitsvereinbarung ist zivilrechtlich und steuerrechtlich wirksam.
Zudem waren die Vereinbarungen bezüglich der Fälligkeit der Tantiemen nach den Grundsätzen über die verdeckte Gewinnausschüttung fremdüblich. Die Vereinbarungen zwischen dem K und „seinen“ GmbHs waren arbeitsrechtlich und nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst.
Vorliegend hätte sich auch ein fremder Geschäftsführer bei sonst gleichen Umständen auf die konkreten Tantiemenvereinbarungen eingelassen. Denn üblicherweise benötigt die Gesellschaft bei höheren Tantiemen Zeit, um die Liquidität für die Auszahlung herzustellen. Ein Monat ist dafür keine unangemessene lange Zeitspanne. Daher waren die Tantiemen mithin nicht im Streitjahr fällig.
Keine Vorverlagerung der Fälligkeit der Tantiemen
Auch die verspätete Feststellung der Jahresabschlüsse zum 31.12.2008 führt nicht zu einem Zufluss der Tantiemen im Streitjahr. Zwischen der Aufstellung des Jahresabschlusses, seiner Feststellung und der Ergebnisverwendung ist zu trennen. Die Feststellung des Jahresabschlusses hat auch bei einer GmbH die Bedeutung einer Verbindlichkeitserklärung der Bilanz.
Im gesellschaftsinternen Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern ist die Feststellung des Jahresabschlusses ein konstitutiv wirkender Akt der Billigung des aufgestellten Jahresabschlusses durch die Gesellschafter, mit welchem diese dessen Richtigkeit anerkennen.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze kommt eine Vorverlegung der Fälligkeit auf den Zeitpunkt, zu dem die Fälligkeit bei fristgerechter Aufstellung eingetreten wäre (fiktive Fälligkeit), nicht in Betracht.
Denn erst die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung führt zu einer Verbindlichkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Jahresabschluss ein rechtliches Nullum und lediglich ein Entwurf der Geschäftsführung.
Aufgrund dessen kann der aufgestellte Abschluss noch geändert oder ergänzt werden. Erst der festgestellte Jahresabschluss bildet das Substrat für den nachfolgenden Beschluss über die Ergebnisverwendung. Ein noch nicht existenter Jahresabschluss kann deshalb auch dann keine Grundlage für etwaige Ansprüche eines Gesellschafters gegen die GmbH sein, wenn es sich um einen beherrschenden Gesellschafter handelt.
Dies gilt selbst dann, wenn die Feststellung des Jahresabschlusses nicht fristgerecht erfolgt ist. Eine vorgezogene (fiktive) Fälligkeit kann der noch nicht existente Jahresabschluss jedoch nicht bewirken. Denn der konkrete Anspruch entsteht (erst) mit der Feststellung des Jahresabschlusses.
Auch eine Fiktion des Zuflusses auf den Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses kommt nicht in Betracht. Denn die im Geschäftsführervertrag wirksam vereinbarte Fälligkeit ist maßgeblich und kann den Zufluss nicht auf den Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses vorverlegen.
Praxishinweis
Der BFH hat in dieser Entscheidung seine bisherigen Grundsätze der Besteuerung von beherrschenden Gesellschaftern weiter konkretisiert und dabei die Grundsätze über die phasengleiche Aktivierung auch auf Tantiemen angewendet:
Eine verspätete Feststellung des Jahresabschlusses führt auch im Falle eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers nicht per se zu einer Vorverlegung des Zuflusses einer Tantieme auf den Zeitpunkt, zu dem die Fälligkeit bei fristgerechter Aufstellung des Jahresabschlusses eingetreten wäre. Diese Entscheidung dürfte für die Praxis von erheblicher Bedeutung sein.
BFH, Urt. v. 28.04.2020 - VI R 44/17
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht