Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 8c KStG verfassungswidrig ist. Die Regelung, wonach Verlustvorträge von Kapitalgesellschaften bei bestimmten Anteilsübertragungen ganz oder teilweise wegfallen („schädlicher Beteiligungserwerb“), verstößt gegen den Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber muss nun bis Ende 2018 eine neue Regelung schaffen - sonst droht die rückwirkende Nichtigkeit.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, welche Vorgaben der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 8c KStG einhalten muss, um eine rückwirkende Nichtigkeit der Vorschrift zu verhindern.
§ 8c KStG sieht eine Einschränkung der Nutzung von Verlustvorträgen vor, wenn ein sogenannter schädlicher Beteiligungserwerb stattfindet. Ein solcher liegt vor bei einer unmittelbaren Übertragung von mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber innerhalb von fünf Jahren. Dann gehen die noch nicht genutzten Verlustvorträge bei einem Beteiligungswechsel von 25 % bis 50 % anteilig unter und bei einem Beteiligungswechsel von mehr als 50 % sogar vollständig.
Im Ausgangsfall verkaufte einer der Gründungsgesellschafter seine Beteiligung von 48 %. Daraufhin kürzte das Finanzamt die vorhandenen Verlustvorträge bei Körperschaft- und Gewerbesteuer um 48 % und setzte die Ertragsteuern entsprechend fest. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Das daraufhin angerufene Finanzgericht hielt die Vorschrift für verfassungswidrig und rief seinerseits das BVerfG an, das ihm Recht gab.
Ungleichbehandlung des § 8c KStG
Nach Ansicht des BVerfG ist § 8c KStG insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG, wie bei einem schädlichen Beteiligungserwerb die bis zu diesem Erwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar sind. Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Gesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Dieser gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten.
Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist. Zur verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss.
Abweichungen vom Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht bedürfen nach Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtfertigung. Dabei ist Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Bei der Auswahl des Steuergegenstands belässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen. Diese Grundsätze gelten grundsätzlich auch für juristische Personen.
Keine Rechtfertigungsgründe für diese Ungleichbehandlung
Grundsätzlich ist die unterschiedliche Besteuerung von Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften – das Ergebnis von Personengesellschaften haben die Gesellschafter zu versteuern, während Kapitalgesellschaften ihre Ergebnisse eigenständig versteuern müssen – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Allerdings sieht das BVerfG eine unterschiedliche Besteuerung von Kapitalgesellschaften durch den zulässigen Verlustabzug gegeben in der Beantwortung der Frage, ob ein schädlicher Beteiligungserwerb im Sinne dieser Vorschrift vorliegt oder nicht. Ein rechtfertigender Grund für diese Ungleichbehandlung ist für es nicht ersichtlich.
Zwar kann die Rechtsfolge des Verlustuntergangs nach § 8c Satz 1 KStG durch entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelungen vermieden werden. Solche Regelungen sind allerdings bei einer Vielzahl von Gesellschaftern nicht immer durchsetzbar. Darauf kommt es laut BVerfG aber letztlich nicht an, denn § 8c Satz 1 KStG hält bereits einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht stand.
Es fehlt dem BVerfG ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung. Ein solcher ergebe sich weder aus der Anknüpfung an die Vorgängerregelung des § 8 Abs. 4 KStG und den dieser zugrundeliegenden Zweck der Missbrauchsbekämpfung noch aus der vom Gesetzgeber angestrebten Beschränkung von Verlustabzügen beim Verlust der wirtschaftlichen Identität einer Gesellschaft noch aus dem Gedanken der Unternehmeridentität als Voraussetzung für den Verlustabzug. Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung kommt als Rechtfertigungsgrund nicht in Betracht.
Nur eine Mehrheitsbeteiligung ermöglicht es dem Anteilserwerber, unmittelbar maßgebend Einfluss auf die Kapitalgesellschaft zu nehmen und die Verluste durch entsprechende unternehmerische Entscheidungen zu eigenen Zwecken zu nutzen. Bei börsennotierten Unternehmen, deren Anteile sich regelmäßig in gewissem Umfang im Streubesitz befinden, wird erst beim Erwerb von 30 % der Anteile an der Zielgesellschaft von einem sogenannten Kontrollerwerb ausgegangen. Zudem gibt der Erwerb eines Anteils dem Anteilseigner lediglich die Möglichkeit, auf die unternehmerischen Entscheidungen der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Ob er davon derart Gebrauch macht, dass die Gesellschaft unter seiner Beteiligung wirtschaftlich als „eine andere“ erscheint, kann erst anhand der Maßnahmen beurteilt werden, die die Anteilseigner tatsächlich (mehrheitlich) treffen.
Die Vorschrift des § 8c Satz 1 KStG beruht demgegenüber auf der unwiderlegbaren Vermutung, dass bereits die Einflussnahmemöglichkeiten eines Anteilserwerbers für die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft maßgeblich sind. Ob diesen Möglichkeiten beim Beteiligungserwerb von mehr als 25 % und weniger als 51 % der Anteile für sich genommen überhaupt eine signifikante Bedeutung für die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft zukommt, ist jedoch zweifelhaft.
Denn es ist nicht ersichtlich, warum sich eine Kapitalgesellschaft bei einer bloßen Übertragung von 26 % bis 50 % der Anteile, also einer bloßen Sperrminorität, nicht nur zu einer – wirtschaftlich betrachtet – „anderen“ Kapitalgesellschaft als vor der Anteilsübertragung entwickeln kann, sondern im Regelfall von einer solchen Identitätsänderung auszugehen ist.
Eine Rechtfertigung ist auch deswegen zu verneinen, weil die Vorschrift in ihrer Wirkung nicht nur den ausscheidenden, sondern – anders als beim Anteilseignerwechsel in der Personengesellschaft – auch die verbleibenden Altgesellschafter betrifft, auf deren Gewinnanteil die quotale Kürzung des Verlustabzugs wegen der eigenen Steuerpflicht der Körperschaft ebenso lastet.
Zudem geht – anders als beim ausscheidenden Personengesellschafter und beim Einzelunternehmer, der sein Unternehmen veräußert – beim ausscheidenden Gesellschafter der Verlustabzug endgültig unter; eine Verrechnung mit dem Veräußerungserlös und zukünftigen Einnahmen ist ausgeschlossen. Der rein fiskalische Zweck der Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform 2008 reicht für sich genommen nicht aus als rechtfertigender Grund für eine Abweichung von dem das Körperschaftsteuerrecht beherrschenden Trennungsprinzip.
Rechtsfolge der Unvereinbarkeit der Norm mit Art. 3 GG
Die Verfassungswidrigkeit wird durch die Einführung des § 8d KStG mit Wirkung zum 01.01.2016 abgeschwächt. Daher ist der Gesetzgeber verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung von § 8c Satz 1 KStG zu beseitigen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, tritt am 01.01.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit rückwirkend auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens die Nichtigkeit von § 8c Satz 1 KStG (jetzt § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG) ein.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BVerfG ist nicht überraschend. Die Stimmen, die § 8c KStG für verfassungswidrig halten, waren von Anfang an vielfältig. Was überrascht, ist die vom BVerfG ausgesprochene Rechtsfolge: Der Gesetzgeber hat gut zwei Jahre Zeit, eine Neuregelung zu treffen, andernfalls ist die Vorschrift rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Einführung nichtig. Dies dürfte wohl eine Reaktion auf das Versagen des Gesetzgebers bei der Anpassung des Erbschaftsteuergesetzes sein. Das Urteil dürfte damit auch zur Rechtssicherheit für künftige Anteilsübertragungen führen, weil der Untergang von Verlustvorträgen deutlich eingeschränkt ist, auch wenn die gesetzliche Neuregelung noch aussteht.
BVerfG, Beschl. v. 29.03.2017 - 2 BvL 6/11
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht