Wann besteht für ein volljähriges behindertes Kind ein Kindergeldanspruch? Ist das Kind zum Selbstunterhalt fähig, wenn es eine Rente bezieht? Der BFH hat klargestellt, dass Bezüge einer Privatrente nur mit dem Ertragsanteil zu berücksichtigen sind - und nicht mit dem Teil, der den Ertragsanteil übersteigt. Maßgeblich ist insoweit, ob der Rentenbezug durch das Vermögen des Kindes begründet wurde.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Urteil vom 16.02.2023 (III R 23/22) seine Grundsätze zur Steuerfreistellung des Selbstbehalts eines behinderten Kindes konkretisiert.
Sachverhalt im Besprechungsfall
V erhielt für seinen behinderten Sohn S Kindergeld. Im Rahmen der Überprüfung der Bezugsberechtigung teilte V der zuständigen Familienkasse mit, dass S eine Rente erhalte.
Die Rente wird lebenslang aufgrund eines Vertrags gezahlt, auf den S zu Vertragsbeginn einen Einmalbeitrag entrichtet hatte, der im Wesentlichen aus einer Erbschaft von seiner Mutter und aus Eigenmitteln stammte.
Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldbescheide auf. Der Einspruch blieb erfolglos, die Klage beim Finanzgericht war hingegen erfolgreich. Auch der BFH folgte dem.
Entscheidung im Besprechungsfall
Für ein volljähriges behindertes Kind besteht ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es u.a. außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs des gesamten existentiellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits zu prüfen.
Zu diesen finanziellen Mitteln gehören seine Einkünfte und Bezüge, d.h. grundsätzlich alle Mittel, die zur Deckung des Lebensunterhalts geeignet und bestimmt sind und dem Kind zufließen, nicht jedoch sein Vermögen. Somit sind Einkünfte und Bezüge von dem Vermögen sowie von Vermögensumschichtungen abzugrenzen.
Vom Kind bezogene Renten gehören grundsätzlich zu dessen Einkünften, soweit sie mit ihrem Besteuerungsanteil oder ihrem Ertragsanteil der Besteuerung unterliegen. Im Übrigen zählen Renten zu den Bezügen.
Leibrenten, die, wie im Besprechungsfall, auf eigenen Einzahlungen beruhen, die ausschließlich oder überwiegend aus versteuertem Einkommen erbracht wurden, werden nicht mit ihrem gesamten Betrag, sondern nur mit ihrem Ertragsanteil besteuert.
Der den Ertragsanteil übersteigende Teil der Rentenzahlungen ist nicht als Bezug zu erfassen, wenn der Rentenanspruch durch eine Vermögensumschichtung begründet wurde.
Soweit es sich bei Rentenzahlungen nicht um vom Versicherer erwirtschaftete Erträge handelt, sondern das Kind lediglich bereits vorher vorhandenes Vermögen zurückerhält, handelt es sich nicht um Bezüge, aus denen das Kind seinen Unterhalt zu decken hat.
Auf welche Weise Geld zurückgezahlt wird, ist unerheblich. Denn hierbei handelt es sich um einen Rückgriff auf Vermögen, soweit nur eine Rückzahlung vorliegt und keine Einkünfte (z.B. solche aus Kapitalvermögen oder sonstige Einkünfte) erzielt werden.
Die Aufteilung der Rentenzahlungen in vermögensumschichtende Rückflüsse einerseits und Einkünfte andererseits hat anhand der Ertragswerte zu erfolgen.
Eine von der steuerlichen Betrachtung abweichende, fallbezogene konkrete Berechnung, welcher Anteil der Zahlungen auf Einkünfte und welcher Anteil auf die Rückgewähr des angesparten Vermögens entfällt, kommt nicht in Betracht, da der Begriff der Einkünfte gesetzlich definiert ist.
Für die Nichtberücksichtigung der den Ertragsanteil übersteigenden Rentenzahlungen als Bezug ist vielmehr maßgeblich, dass der Rentenanspruch durch Mittel des S, mithin durch sein Vermögen, begründet wurde.
Praxishinweis
Der BFH hat in seiner Entscheidung die Grundsätze zum Unterhalt behinderter Kinder folgendermaßen konkretisiert: Die Fähigkeit des volljährigen behinderten Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs seines gesamten existentiellen Lebensbedarfs einerseits und seiner Einkünfte und Bezüge andererseits zu prüfen.
Das Vermögen des Kindes bleibt dabei unberücksichtigt. Bezieht ein behindertes volljähriges Kind eine Rente, die durch Vermögensumschichtung begründet wurde - vorliegend die Einzahlung der dem Kind von einem Kindergeldberechtigten zweckgebunden zugewandten Mittel in einen privaten Versicherungsvertrag -, so sind die den Ertragsanteil übersteigenden Teile der Rentenzahlungen nicht als Bezug zu berücksichtigen.
BFH, Urt. v. 16.02.2023 - III R 23/22